Kündigungsgrund YouTube-Video „Wie entsteht eine Lüge“

Kündigungsgrund YouTube‐Video „Wie entsteht eine Lüge“

29. Mai 2024 Kündigung Nebenpflichten YouTube-Video 0

Die Kündigung eines Auszu­bil­den­den­ver­hält­nisses gegen einen Auszu­bil­denden, der ein YouTube‐Video mit dem Titel „Wie entsteht eine Lüge“ über die Bericht­erstattung seiner Arbeit­ge­berin zum Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 veröf­fent­licht hat ist wirksam.

Dies hat das Arbeits­ge­richt Berlin in seinem Urteil vom 22.05.2024, (Akten­zeichen 37 Ca 12701/23) entschieden.

 

Grundsätzliches

 

Maßregelungsverbot des § 612a BGB

Gemäß § 612a BGB darf ein Arbeit­geber einen Arbeit­nehmer bei einer Verein­barung oder einer Maßnahme nicht benach­tei­ligen, weil diese in zuläs­siger Weise seine Rechte ausübt. Demzu­folge ist auch eine Kündigung unwirksam, wenn deren Ursache objektiv allein in der Rechts­aus­übung des Arbeit­nehmers liegt oder der tragende Beweg­grund des Arbeit­gebers für die Kündigung in dieser Rechts­aus­übung liegt.

Das Maßre­ge­lungs­verbot erfasst sämtliches tatsäch­liches und rechts­ge­schäft­liches Verhalten in Beziehung zum Arbeit­nehmer, das dessen Benach­tei­ligung bewirkt und damit auch Kündi­gungen. Ausge­schlossen davon sind Benach­tei­li­gungen, die eine Folge voran­ge­gan­genen zuläs­sigen Verhalten des Arbeit­gebers sind, beispiels­weise eine Beendi­gungs­kün­digung nach Ablehnung einer zuläs­sigen Änderungs­kün­digung. (Näheres zur Änderungs­kün­digung können Sie hier lesen.)

Das Maßre­ge­lungs­verbot sichert abstrakt die tatsäch­liche Ausüb­barkeit von Arbeit­neh­mer­rechten, indem es grund­sätzlich vor ungerecht­fer­tigten diszi­pli­na­ri­schen Maßnahmen des Arbeit­gebers als Folge zuläs­siger Ausübung von Arbeit­neh­mer­rechten schützt.

Auf unzuläs­siges Verhalten des Arbeit­nehmers darf dagegen bei Vorliegen der übrigen Voraus­set­zungen eine Kündigung erfolgen.

Als unzuläs­siges Verhalten wäre beispiels­weise ein Verstoß gegen die Verpflichtung aus § 241 Abs. 2 BGB und den dort veran­kerten Grundsatz u.a. zur Rücksicht­nahme auf die Inter­essen des Vertrags­partners denkbar. So muss der Arbeit­nehmer nach den Grund­sätzen von Treu und Glauben in jedem Arbeits‐ oder Ausbil­dungs­ver­hältnis eine Mindestmaß an Rücksicht gegenüber den Rechten, Rechts­gütern und Inter­essen des Arbeit­gebers nehmen. Das umfasst auch den Betriebs­frieden und die Pflicht, rufschä­di­gende Meinungs­äu­ße­rungen zu unterlassen.

Aller­dings muss bei der Bewertung, ob das Verhalten unzulässig ist, in jedem Einzelfall eine Abwägung der verletzten Inter­essen des Arbeit­gebers mit dem Grund­recht des Arbeit­nehmers auf freie Meinungs­äu­ßerung stattfinden.

(Näheres zur Rücksicht­nah­me­pflicht von Arbeit­nehmern können Sie hier in den Anmer­kungen zu einem Urteil des Landes­ar­beits­ge­richts Berlin‐Brandenburg in einem anderen Fall bezüglich einer Kündigung auf ein YouTube‐Video lesen.)

 

Fehlerhafte Betriebsratsanhörung

Sofern im Betrieb ein Betriebsrat gebildet ist, muss dieser vor jeder Kündigung „gehört“ werden. Sonst ist die Kündigung unwirksam. Das bedeutet, der Betriebsrat muss von der Kündigung und den maßgeb­lichen Gründen und Umständen unter­richtet werden. Bei Bedenken gegen die Kündigung muss der Betriebsrat diese dem Arbeit­geber innerhalb einer Woche, bei frist­losen Kündi­gungen spätestens nach 3 Tagen schriftlich mitteilen. Sonst gilt die Zustimmung zur Kündigung als erteilt. In bestimmten Fällen kann der Betriebsrat der Kündigung sogar wider­sprechen. Das kann unter anderem einen Anspruch auf Weiter­be­schäf­tigung zur Folge haben. (Mehr zum Weiter­be­schäf­ti­gungs­an­spruch können Sie hier lesen.)

 

Probezeit im Ausbildungsverhältnis

Nach § 20 Berufs­bil­dungs­gesetz (BBiG) beginnt das Berufs­aus­bil­dungs­ver­hältnis mit der Probezeit. Diese muss mindestens einen Monat und darf höchstens vier Monate betragen.

Die Länge der Probezeit muss im Ausbil­dungs­vertrag nach § 11 BBiG festge­halten werden.

Die Probezeit kann nur ausnahms­weise länger sein, wenn die Ausbildung während der Probezeit beispiels­weise wegen Krankheit um mehr als ein Drittel der Zeit unter­brochen wurde und für diesen Fall eine Verlän­gerung vereinbart war. Gering­fügige Unter­bre­chungen sind unbeachtlich.

Nach § 22 BBiG kann während der Probezeit das Berufs­aus­bil­dungs­ver­hältnis jederzeit ohne Einhalten einer Kündi­gungs­frist gekündigt werden.

 

Zum Fall

 

Der Sachverhalt

Ein Auszu­bil­dender hatte im September 2023 eine Ausbildung zum Medien­ge­stalter in einem großen Medien‐Konzern begonnen. Es war eine Probezeit vereinbart.

Nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 bekannte sich der ausbil­dende Medien‐Konzern eindeutig dazu, zu Israel zu stehen.

Daraufhin stellte der Auszu­bil­dende auf der Plattform „Teams“ als Profilbild den Text „I don’t stand with Israel“ ein. Zusätzlich veröf­fent­lichte er auf YouTube unter Verwendung von Bildma­terial seiner Arbeit­ge­berin ein Video mit dem Titel „Wie entsteht eine Lüge“. Dieses YouTube‐Video behan­delte die Bericht­erstattung seiner Arbeit­ge­berin über den Angriff der Hamas auf Israel.

Die Arbeit­ge­berin sah dies als Angriff auf die Unter­neh­mens­werte an und sprach noch innerhalb der Probezeit zwei fristlose Kündi­gungen gegen den Auszu­bil­denden aus. Dieser legte Kündi­gungs­schutz­klage ein. Der Auszu­bil­dende berief sich auf seine Meinungs­freiheit. Zudem vertrat er die Auffassung, die Kündi­gungen stellten ein Maßre­ge­lungs­verbot gemäß § 612a BGB dar und wären danach unwirksam.

 

Die Entscheidung

Das Arbeits­ge­richt Berlin sah die erste Kündigung als unwirksam an, da der Betriebsrat fehlerhaft angehört worden sei. Die zweite Kündigung sei jedoch wirksam. Das Ausbil­dungs­ver­hältnis könne während der verein­barten Probezeit jederzeit und ohne verpflich­tende Angabe eines Kündi­gungs­grundes gekündigt werden. Dies stelle auch keine Maßre­gelung dar, sondern vielmehr eine berech­tigte Wahrnehmung der unter­neh­me­ri­schen Inter­essen der Arbeit­ge­berin. Die durch das Grund­gesetz geschützte Meinungs­freiheit recht­fertige das veröf­fent­lichte YouTube‐Video nicht.

Beide Parteien können gegen das Urteil beim Landes­ar­beits­ge­richt Berlin‐Brandenburg Berufung einlegen.

(Der Beitrag beruht auf der Presse­mit­teilung des Arbeits­ge­richts Berlin Nr. 05/24 vom 23.05.2024 . Der Urteilstext lag dem Verfasser zum Zeitpunkt der Veröf­fent­li­chung dieses Artikels noch nicht vor. Wir werden das Geschehen im Auge behalten.) 

[Arbeits­ge­richt Berlin, Urteil vom 22.05.2024, Akten­zeichen 37 Ca 12701/23]

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