Inhaltsverzeichnis
- Hat Arbeitgeber eine Sozialauswahl getroffen?
- Beteiligung des Betriebsrats
- Problem positive Altersdiskriminierung: Sozialauswahl aufgrund Alters
- Gerichtliche Prüfung der Sozialauswahl
- Die Kündigungsschutzklage bei fehlerhafter Sozialauswahl
- Arbeitnehmer obliegt Beweislast für fehlerhafte Sozialauswahl
In Unternehmen mit mehr als zehn vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern bedarf es zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines gesetzlichen Kündigungsgrundes. Bei Arbeitnehmern, denen nicht aufgrund von Umständen, die in ihrer Person oder ihrem Verhalten liegen, gekündet werden kann, kommt lediglich eine betriebsbedingte Kündigung in Betracht. Der Arbeitgeber kann eine solche betriebsbedingte Kündigung aussprechen, wenn der betreffende Arbeitsplatz im Unternehmen objektiv wegfällt – etwa, wenn in einem Unternehmen aufgrund eines Auftragseinbruchs weniger Arbeit anfällt, so dass der Betrieb die verbleibende Arbeit entsprechend umorganisiert und Stellen streicht. Bei der betriebsbedingten Kündigung wird der entlassene Arbeitnehmer nicht durch einen anderen ersetzt, sondern fällt der Arbeitsplatz ganz weg. Werden Arbeitsplätze abgebaut, die von mehreren Arbeitnehmern ausgeführt werden, stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien der Arbeitgeber entscheiden darf, wem gekündigt wird und wer hingegen nicht den Arbeitsplatz verliert. Der Arbeitgeber muss eine Sozialauswahl treffen.
Die gesetzliche Vorgabe dazu ist in § 1 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) festgelegt. Die Kündigung von Arbeitsverhältnissen, die bereits seit länger als sechs Monaten bestehen, muss sozial gerechtfertigt sein. Gemäß § 1 Absatz 3 KSchG ist die Kündigung in privaten Betrieben sozial ungerechtfertigt, „wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat“.
Hat Arbeitgeber eine Sozialauswahl getroffen?
Wenn nicht alle miteinander vergleichbaren Mitarbeiter entlassen werden, muss der Arbeitgeber eine Sozialauswahl treffen, bei der die Entscheidung, welchem unter mehreren Arbeitnehmern, auf die der betriebsbedingte Kündigungsgrund angewandt werden kann, unter sozialen Gesichtspunkten die Kündigung am ehesten zumutbar ist.
Die Sozialauswahl erfolgt in zwei Stufen. In einer ersten Stufe ist zu klären, welche Mitarbeiter für eine Kündigung überhaupt in Frage kommen und derart miteinander vergleichbar sind, dass unter ihnen eine Sozialauswahl zur Ermittlung des sozial am wenigsten schutzbedürftigen Kündigungskandidaten durchgeführt werden kann. In einer zweiten Stufe trifft der Arbeitnehmer dann die eigentliche Sozialauswahl.
Stufe 1: Welche Arbeitnehmer werden in Sozialauswahl einbezogen?
Zunächst also ist zu klären, welche miteinander vergleichbaren Arbeitsplätze von einem Stellenabbau betroffen sind. Daraus ergibt sich, welche Arbeitnehmer in die Sozialauswahl einzubeziehen sind. Vergleichbar sind alle Arbeitnehmer, die im Betrieb untereinander austauschbar sind. Dies ist der Fall bei allen Arbeitnehmern, die aufgrund ihrer Qualifikation und Tätigkeit im Unternehmen Arbeitsplätze auf der gleichen Hierarchieebene im Unternehmen besetzen können. Man spricht von „horizontaler Vergleichbarkeit“. Eine solche Vergleichbarkeit liegt vor, wenn Arbeitnehmer die Arbeit des anderen Kündigungskandidaten ausüben können. Dabei sind auch besondere Kenntnisse und Qualifikationen der Beschäftigten zu berücksichtigen. Verfügt ein Arbeitnehmer über solche Kenntnisse und Qualifikationen, die er am Arbeitsplatz nutzen kann, kann dies dazu führen, dass für diesen Arbeitnehmer keine Vergleichbarkeit vorliegt.
Gibt es für eine Stellenstreichung nur einen einzigen Mitarbeiter und keinen vergleichbaren Arbeitnehmer, so braucht keine Sozialauswahl durchgeführt zu werden. Auch bei einer vollständigen Betriebsschließung, bei der alle Arbeitnehmer entlassen werden, wird keine Sozialauswahl durchgeführt.
Betroffene Arbeitnehmer können ihre Hierarchiestufe nicht freiwillig durch Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber nach unten hin verschieben. So kann der von einer betriebsbedingten Kündigung bedrohte Abteilungsleiter, für dessen Stelle es keinen vergleichbaren Kollegen gibt, beispielsweise nicht anbieten, freiwillig als einfacher Sachbearbeiter in der Abteilung weiterzuarbeiten, so dass für eine betriebsbedingte Kündigung die Sozialauswahl unter Einbeziehung der anderen Sachbearbeiter durchzuführen wäre. Die Frage, welche Mitarbeiter miteinander vergleichbar sind, ist anhand der bestehenden Arbeitsverträge zu beantworten.
Nicht bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen sind gemäß § 1 Absatz 1 KSchG Arbeitnehmer, die noch keine sechs Monate in dem Betrieb arbeiten. Sie können betriebsbedingt ohne Durchführung einer Sozialauswahl gekündigt werden (sofern sie nicht ohnehin während der Probezeit ohne Kündigungsgrund gekündigt werden können).
Stufe 2: Die Sozialauswahl
Wurde die Vergleichsgruppe festgestellt, d.h. der Kreis der in Frage kommenden Kündigungskandidaten festgelegt, so hat der Arbeitgeber zu entscheiden, welcher dieser Arbeitnehmer am wenigsten schutzbedürftig ist. Es ist eine soziale Rangordnung aufzustellen. Dies erfolgt entsprechend der in § 1 Absatz 3 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) vorgegebenen Sozialauswahl aufgrund folgender vier Kriterien:
- Dauer der Betriebszugehörigkeit
- Lebensalter
- Unterhaltspflichten
- Schwerbehinderung
Diese sozialen Kriterien stehen grundsätzlich gleichrangig nebeneinander. Der Arbeitgeber hat sie alle zu berücksichtigen, jedoch bei der Sozialauswahl aufgrund dieser Kriterien einen Beurteilungsspielraum. Er kann eine Rangordnung der Kriterien aufstellen, muss dabei aber alle Arbeitnehmer der gleichen Rangordnung unterwerfen. Die Sozialauswahl ist gerichtlich (teilweise jedoch nur auf grobe Fehlerhaftigkeit hin) überprüfbar und kann bei einem Fehler, der kausal für die Kündigung ist, zur Unwirksamkeit der Sozialauswahl und damit der ausgesprochenen Kündigung führen.
Welcher der miteinander vergleichbaren Arbeitnehmer ist am wenigsten schutzbedürftig?
Auf Grundlage dieser sozialen Kriterien stellt der Arbeitgeber eine soziale Rangordnung der miteinander horizontal vergleichbaren und für eine betriebsbedingte Kündigung in Frage kommenden Arbeitnehmer auf. In großen Betrieben, in denen eine Vielzahl von Mitarbeitern miteinander vergleichbar ist und damit für eine betriebsbedingte Kündigung in Betracht kommt, kann durch ein Punktesystem eine klare Rangfolge ermittelt werden. So können für soziale Kriterien wie Alter, Länge der Betriebszugehörigkeit und bestehende gesetzliche Unterhaltspflichten Punkte vergeben werden. Je mehr Punkte danach ein Mitarbeiter erhält, desto schutzwürdiger ist er. Das Punktesystem muss für alle Arbeitnehmer einheitlich sein.
Wie werden soziale Auswahlkriterien gewichtet?
Gesetzlich ist die Gewichtung der Kriterien nicht vorgegeben. Der Arbeitgeber hat einen Beurteilungsspielraum. Jedoch kann die Gewichtung in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung festgelegt werden. Gemäß § 1 Absatz 4 KSchG kann durch eine solche Vereinbarung geregelt werden, „wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind“. Damit wird die Überprüfung der Sozialauswahl durch das Arbeitsgericht auf „grobe Fehlerhaftigkeit“ beschränkt.
Schritt 3: Besonderes betriebliches Interesse an Weiterbeschäftigung bestimmter Mitarbeiter?
In einem weiteren Schritt prüft der Arbeitgeber, ob einzelne Mitarbeiter gemäß § 1 Absatz 3 Satz 2 KSchG von der Sozialauswahl auszunehmen sind. Dies gilt für Arbeitnehmer, „deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt“.
Von der Sozialauswahl ausgeschlossen sind auch Arbeitnehmer, für die ein gesetzliches Kündigungsverbot gilt. So besteht beispielsweise gemäß § 17 MuSchG (Mutterschutzgesetz) für Frauen während ihrer Schwangerschaft, sowie bis mindestens vier Monate nach ihrer Entbindung ein Sonderkündigungsschutz. Besonderen Kündigungsschutz sieht das Gesetz ferner für Betriebsratsmitglieder und Schwerbehinderte vor. Solche Arbeitnehmer sind demnach grundsätzlich von der Sozialauswahl auszunehmen, sofern nicht eine ausnahmsweise Erlaubnis der zuständigen Behörde vorliegt. Auch kann per Tarifvertrag festgelegt werden, dass bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern von der Sozialauswahl auszunehmen und damit vor der betriebsbedingten Kündigung geschützt sind.
Beteiligung des Betriebsrats
Gibt es in dem Unternehmen einen Betriebsrat, so muss der Arbeitgeber diesen vor der Kündigung des Arbeitnehmers anhören. Gemäß § 102 Absatz 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) ist eine Kündigung ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats unwirksam und wird, sofern der Arbeitnehmer fristgerecht Kündigungsschutzklage erhebt, vom Arbeitsgericht aufgehoben.
Der Betriebsrat kann in bestimmten Fällen, wie etwa bei der unzureichenden Berücksichtigung sozialer Kriterien, der Kündigung widersprechen. Auch wenn die Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer innerhalb des Betriebs auf einem anderen Arbeitsplatz im Rahmen seiner Qualifikationen und zumutbaren Weiterbildungsmöglichkeiten weiterzubeschäftigen, kann der Betriebsrat der Kündigung widersprechen.
Problem positive Altersdiskriminierung: Sozialauswahl aufgrund Alters
Die Sozialauswahl nach dem Lebensalter benachteiligt jüngere Arbeitnehmer gegenüber ihren älteren Kollegen. Dies stellt eigentlich einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot gemäß § 2 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) und die Europäische Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (2000/78/EG) dar. Nun gilt das Verbot der Altersdiskriminierung gemäß § 2 Absatz 4 AGG zwar nicht für den Bereich des Kündigungsschutzes, allerdings könnte man auf den Gedanken kommen, dass diese Einschränkung wiederum eine unzulässige Reduktion des europäischen und grundgesetzlichen Gleichheitsgebots darstellt.
Bislang hat sich diese Meinung in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung nicht durchsetzen können. Die Zulässigkeit der Sozialauswahl aufgrund des Alters zuungunsten jüngerer Arbeitnehmer ist im Kündigungsrecht nach wie vor anerkannt. Für diese Regelung spricht, dass sie die Benachteiligung älterer Arbeitnehmer, die es auf dem Arbeitsmarkt schwerer haben als jüngere Kollegen, gerade verhindern soll und somit ein Mittel der Durchsetzung der verbotenen Altersdiskriminierung (älterer Mitarbeiter) darstellt.
Arbeitgeber kann Altersgruppen zur Wahrung der Altersstruktur im Unternehmen bilden
Jedoch kann die Sozialauswahl aufgrund des Lebensalters zu einer unternehmerisch unerwünschten Veränderung der Altersstruktur eines Unternehmens führen. Bei großangelegten Umstrukturierungen könnten dann vornehmlich die älteren Mitarbeiter im Unternehmen verbleiben, während die jüngeren Kollegen betriebsbedingte Kündigung erhalten. Unter sozialen Gesichtspunkten mag dies wünschenswert sein. Eine solche Alterung der Mitarbeiterschaft widerspricht aber zumeist dem Interesse des Arbeitgebers an einer ausgeglichenen Altersstruktur im Unternehmen.
Die gesetzliche Festschreibung des Lebensalters als Kriterium bei der Sozialauswahl lässt sich nicht umgehen. Jedoch können Arbeitgeber die mit dieser Vorgabe verbundenen Auswirkungen auf die Altersstruktur ihres Unternehmens verhindern, indem sie eine Sozialauswahl nicht allein nach individuellem Lebensalter ihrer Arbeitnehmer, sondern nach Altersgruppen vornehmen.
So hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 15.12.2011 (Az. 42/10) entschieden, dass es dem Arbeitgeber rechtlich möglich ist, dass er gemäß § 1 Absatz 3 Satz 2 KSchG bei der Sozialauswahl aufgrund Alters „nach sachlichen Kriterien Altersgruppen bildet, die prozentuale Verteilung der Belegschaft auf die Altersgruppen feststellt und die Gesamtzahl der auszusprechenden Kündigungen diesem Proporz entsprechend auf die einzelnen Altersgruppen verteilt“. Dies, so das Bundesarbeitsgericht, hat zur Folge, dass sich die Sozialauswahl „nur innerhalb der Gruppen vollzieht und sich der Anstieg des Lebensalters nur innerhalb der jeweiligen Altersgruppe auszuwirken vermag“. Mit einem solchen Vorgehen kann der Arbeitgeber die Altersstruktur im Unternehmen bewahren.
Gerichtliche Prüfung der Sozialauswahl
Mit guten Chancen angreifbar sind betriebsbedingte Kündigungen, bei denen der Arbeitnehmer gar keine Sozialauswahl durchgeführt hat, sowie Kündigungen, bei den die Sozialauswahl unrichtig durchgeführt wurde. Dabei ist jedoch zu beachten, dass das Gesetz die sozialen Auswahlkriterien in keine Rangordnung eingegliedert hat. Dem Arbeitgeber kommt bei der Gewichtung der einzelnen Kriterien ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, der sich der gerichtlichen Überprüfung entzieht. Wenn der geltende Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber eine Gewichtung der Kriterien vorsieht, so unterliegt die auf dieser Grundlage vorgenommene Bewertung lediglich einer gerichtlichen Kontrolle hinsichtlich grober Fehlerhaftigkeit.
Die Kündigungsschutzklage bei fehlerhafter Sozialauswahl
Von einer betriebsbedingten Kündigung betroffene Arbeitnehmer haben die Möglichkeit, innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigungserklärung Kündigungsschutzklage vor dem örtlich zuständigen Arbeitsgericht zu erheben und zu beantragen, dass das Gericht die Unwirksamkeit der Kündigung und damit das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses feststellt.
Diese Frist von drei Wochen ist unbedingt einzuhalten. Verspätete Kündigungsschutzklagen werden als unzulässig abgewiesen. Das heißt, dass allein das Versäumen dieser knappen Frist dazu führt, dass eine ursprünglich sozial ungerechtfertigte und damit vor Gericht angreifbare Kündigung bestandskräftig wird und von dem Arbeitnehmer nicht mehr arbeitsgerichtlich angefochten werden kann. Wer betriebsbedingt gekündigt wird und Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Sozialauswahl hat bzw. meint, dass gar keine Sozialauswahl durchgeführt wurde – was unmittelbar zur Unwirksamkeit der Kündigung führt – sollte deshalb umgehend anwaltlichen Rat einholen und gerichtlich gegen die Kündigung vorgehen.
Arbeitnehmer obliegt Beweislast für fehlerhafte Sozialauswahl
Der Arbeitgeber hat nachzuweisen, dass eine Sozialauswahl durchgeführt wurde. Dem Arbeitnehmer obliegen hingegen Darlegung und Beweis der für ihn sprechenden Tatsachen. Der Arbeitnehmer muss nachweisen, warum die Sozialauswahl fehlerhaft sein soll. Dazu hat der Arbeitnehmer ein gesetzliches Auskunftsrecht gegenüber dem Arbeitgeber: Gemäß § 1 Absatz 3 KSchG muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auf dessen Verlangen die Gründe angeben, „die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben“.
(Mehr zur betriebsbedingten Kündigung können Sie hier lesen.)